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Urteil der 1. Kammer für Handelssachen vom 13. Mai 2009 - 21 O 6/09

Landgericht Hannover

Geschäfts-Nr.:

21 O 6/09

Verkündet am:

13. Mai 2009

.............., Justizangestellte

als Urkundsbeamtin/beamter der Geschäftsstelle

Urteil

Im Namen des Volkes!

In dem Rechtsstreit

.......................

Klägerin

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte .................

gegen

................................

Beklagte

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ..........................

hat die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 20.04.2009 durch

den Richter am Oberlandesgericht .............,

den Handelsrichter ................... und

den Handelsrichter ..................

für R e c h t erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, ausschließlich die Klägerin im Vertriebsgebiet der Klägerin mit sämtlichen Presseerzeugnissen der Beklagten zur Abgabe an den stationären Einzelhandel mit Ausnahme des Bahnhofsbuchhandels zu den Bedingungen zu beliefern, die von der Beklagten mit der Mehrheit der Grossisten in Deutschland praktiziert werden und/oder vereinbart sind.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 € vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicher-heitsleistung in Höhe von 100.000 € ohne Rücksicht auf eine Sicherheits-leistung der Klägerin abzuwenden.

Der Streitwert wird auf 250.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin ist einer von insgesamt 73 Pressegrossisten, die den Einzelhandel in Deutschland mit Ausnahme des Bahnhofsbuchhandels mit Presseprodukten beliefern. Ihr Tätigkeitsgebiet liegt nordwestlich von Hamburg im Raum Stade zwischen Krummendeich und Hollenstedt. Die Beklagte ist die Vertriebsgesellschaft der ........ Group, einem der führenden deutschen und europäischen Zeitschriften-verlage. Die Klägerin wird seit mehr als 40 Jahren von der Beklagten als Pressegroßhändler im Vertriebsgebiet Stade eingesetzt. Von dem Gesamtumsatz der Klägerin in Höhe von rund 10,4 Mio. Euro im Geschäftsjahr 2007 entfielen ca. 1,559 Mio. Euro auf Presseerzeugnisse der Beklagten.

Die Grossisten beziehen Zeitungen und Zeitschriften von den Verlagen und verkaufen sie im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Seit Anfang der 70er Jahre ist in jedem Gebiet grundsätzlich nur ein Pressegrossist tätig. Ausnahmen waren bislang nur Hamburg und Berlin, wo ein System der Objekttrennung jeweils in der Weise besteht, dass zwei Grossisten jeweils für bestimmte Verlage deren Produkte ausschließlich vertreiben. Der Einzelhandel wird aufgrund eines mit den Pressegrossisten vereinbarten Dispositionsrecht der Verlage bzw. der Grossisten beliefert, das sich insbesondere an der voraussichtlichen Verkäuflichkeit der Presse-erzeugnisse orientiert. Die Einzelhändler erhalten das Recht, alle nicht verkauften Exemplare binnen bestimmter Fristen an den Lieferanten zu "remitieren". In regelmäßigen Abständen handeln der Bundesverband Presse-Grosso, deren Mitglied die Klägerin ist, und die einzelnen Verlage Handelsspannen, d.h. die Anteile der Grossisten und der Einzelhändler an den gebundenen Verkaufspreisen, aus. Die zuletzt getroffene Handelsspannenvereinbarung betraf den Zeitraum 01.03.2005 bis 28.02.2009.

Am 19.08.2004 unterzeichneten der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und der Bundesverband Deutscher Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten folgende "Gemeinsame Erklärung" (Anlage K14):

"Verlage und Grossisten bekennen sich einmütig zum bewährten Grosso-Vertriebssystem zugunsten der Überallerhältlichkeit und Vielfalt des Presseangebots in Deutschland. Dies beinhaltet auch die Akzeptanz der gegen-wärtigen Grosso-Struktur, die aus einer Mischung von mittelständischen Grossisten (ca. 85 % Umsatz-Anteil) und Grossisten mit vielfältigen Verlagsbe-teiligungen besteht. Eine Ausweitung der Grossobetriebe mit Verlagsbeteiligung ist nicht geplant."

Das Bekenntnis schließt den Erhalt der Essentials, die zum Funktionieren des Systems unabdingbar sind, ausdrücklich ein:

- Dispositionsrecht

- Remissionsrecht

- Preisbindung

- Verwendungsbindung

- Neutralitätsverpflichtung auf Grosso-Ebene, d.h. Gleichbehandlung aller Presse-produkte bzw. Verlage. Exklusivitätsvereinbarungen zugunsten einzelner Presse-produkte oder gar Verlage sind ausgeschlossen.

Die gebietsbezogene Alleinauslieferung ist die effiziente Konsequenz dieser Essentials, ...

Die Verlage sind grundsätzlich in der Wahl ihrer Vertriebswege frei. Es besteht auch Einigkeit, dass Verlage die Möglichkeit haben müssen, bei zu begründenden nachhaltigen Leistungsmängeln und anderen sachlich gerechtfertigten Gründen die Geschäftsbeziehung zu dem jeweiligen Grossisten mit Fristsetzung kündigen zu können.

Einhergehend mit diesem Bekenntnis für eine partnerschaftliche und langfristige Zusammenarbeit sehen Grossisten und Verlage keine Notwendigkeit, das Grosso-System gesetzlich zu sichern. Die Geschäftsbeziehungen sollen, unter Berücksichtigung der Essentials, marktwirtschaftlichen Bedingungen unterliegen."

Mit Schreiben an sämtliche Pressegrossisten in Deutschland vom 30.05.2008 erklärte die Beklagte, dass die gültige Handelsspannenvereinbarung sowie die dazugehörigen "Ergänzungen und Nebenpunkte" zum 28.02.2009 ausliefen, sich nicht automatisch verlängerten, und vorsorglich aufgekündigt würden (Anlage B 7). Mit Schreiben an die Klägerin vom 20.10.2008 erklärte die Beklagte, dass das Vertragsverhältnis mit der Klägerin nach dem Auslaufen der Handelsspannen zum 28.02.2009 nicht verlängert bzw. gekündigt werde (Anlage K 5). Dem widersprach die Klägerin.

Die Beklagte erklärte außerdem gegenüber dem Großhändler .............KG, dessen Vertriebsgebiet im Raum Elmshorn/Südwest-Holstein liegt, die Beendigung des Vertragsverhältnisses zum 28.02.2009. Ferner erklärte sie gegenüber der Schleswig-Holsteinischen Buchgroßhandlung ...................... GmbH & Co. KG die Beendigung der Zusammenarbeit zum Jahresende 2009. Dort will die Beklagte einen neuen Grossovertrag nach Durchführung einer Ausschreibung vergeben.

Den bisher von der Klägerin wahrgenommenen Vertrieb der Titel der .................... Group übertrug die Beklagte ab dem 01.03.2009 der Presse-Vertrieb ........... KG (im Folgenden: ......). Die ........ ist ein 100-prozentiges Konzernunternehmen der .............. Group. Sie vertreibt das bereits im Raum Hamburg – neben einem weiteren verlagszugehörigen Grossisten – Presseprodukte der ........... Group und weiterer Verlage. Für den Aufbau des neuen Vertriebswegs mit der ......... hat die Beklagte auf die von der Klägerin übermittelten EHASTRA-Daten zurückgreifen wollen.

Die Klägerin will mit der Klage in erster Linie erreichen, dass die Beklagte auch zukünftig ausschließlich sie im Vertriebsgebiet Stade mit sämtlichen Presseerzeugnissen der ............ Group beliefert. Die Klägerin macht geltend, dass sie einen vertraglichen Belieferungsanspruch habe. Mit der Beklagten sei ein Presse-Grosso-Vertriebsvertrag zu den branchenüblichen Konditionen zustande gekommen. Die Kündigung vom 20.10.2008 sei vertragsrechtlich unwirksam. Das Verhalten der Klägerin habe keinen Anlass zur Kündigung gegeben. Die Kündigung diene der Beklagten dazu, einen Vertrieb der Presseerzeugnisse der ............... Group über die konzerneigene ..........zu organisieren und auf die anderen Pressegrossisten sowie das Presse-Grosso-Vertriebssystem insgesamt Druck auszuüben. Die Kündigung sei außerdem gemäß § 20 Abs. 1 GWB unzulässig. Die Beklagte sei Normadressat der Vorschrift, weil sie bei Programm- und Frauenzeitschriften marktbeherrschend sei, und weil sie nach § 30 Abs. 1 GWB Preise binde. Die Kündigung stelle eine Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber den anderen Grossisten dar, mit denen die Beklagte weiter zusammenarbeite. Zudem bewirkte die Kündigung eine Behinderung der Klägerin in der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit. Sie sei als Vollsortiments-Grossist davon abhängig, dem Einzelhandel sämtliche Presseprodukte aus einer Hand anbieten zu können. Die Ungleichbehandlung sei sachlich nicht gerechtfertigt und die Behinderung sei unbillig im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB. Die Beklagte habe die Kündigung ausgesprochen, um sich durch den Aufbau eines Eigenvertriebs Sondervorteile zu verschaffen, die bei Einhaltung des Deutschen Presse-Grosso-Systems nicht erzielbar seien. Mit ihrer Strategie eines privilegierten Eigenvertriebs gefährde die Beklagte den Bestand des Presse-Grosso-Systems. Die Kündigung stelle eine Willkürmaßnahme zur Ausübung wirtschaftlichen Drucks insbesondere bei den Handelsspannen-Verhandlungen dar. Demgegenüber habe die Klägerin ein legitimes Interesse an der Fortsetzung ihrer wirtschaftlichen Betätigung als Presse-Grossist mit Vollsortiment. Das Interesse der Klägerin decke sich mit den Interessen der anderen Verlage, ihre Presse-Objekte in den Gebieten jeweils über denselben Grossisten auszuliefern. Das Interesse der Klägerin entspreche auch dem Interesse der Einzelhändler, für die eine Belieferung nur durch einen Grossisten mit einem geringen Aufwand bei der Remission verbunden sei. Das bisherige Presse-Grosso-System diene auch dem Interesse der Endverbraucher an einem möglichst vielfältigen und überall verfügbaren Presseangebot. Im Rahmen der Interessenabwägung sei die "Gemeinsame Erklärung" zu beachten. Selbst wenn die Beendigung des bestehenden Vertriebsvertrags möglich wäre, so habe die Klägerin nach § 20 Abs. 1 GWB jedenfalls einen Anspruch darauf, (ggf. parallel zu anderen Vertriebspartnern der Beklagten) mit sämtlichen Presseprodukten der Beklagten beliefert zu werden, denn nur so könne sie wettbewerbsfähig sein.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, ausschließlich die Klägerin im Vertriebsgebiet der Klägerin mit sämtlichen Presseerzeugnissen der Beklagten zur Abgabe an den stationären Einzelhandel mit Ausnahme des Bahnhofsbuchhandels zu beliefern zu den Bedingungen, die von der Beklagten mit der Mehrheit der Grossisten in Deutschland praktiziert werden und/oder vereinbart sind,

2. hilfsweise,

a) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin im Vertriebsgebiet der Klägerin mit sämtlichen Presseerzeugnissen der Beklagten zur Abgabe an den stationären Einzelhandel mit Ausnahme des Bahnhofsbuchhandels zu beliefern zu den Bedingungen, die von der Beklagten mit der Mehrheit der Grossisten in Deutschland praktiziert werden und/oder vereinbart sind,

b) der Beklagten zu untersagen, sämtliche im Rahmen der Geschäftsbeziehung mit der Klägerin erlangten Einzelhändlerinformationen, die die Klägerin der Beklagten im Rahmen der "Optionalabfrage" als sogenannte EHASTRA-Datensätze zur Verfügung gestellt hat, zum Aufbau einer verlagseigenen Belieferung mit Presse-erzeugnissen im Vertriebsgebiet der Klägerin zu verwenden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, sie habe die Umstellung des bislang von der Klägerin und der Firma ........... durchgeführten Vertriebs ihrer Presseerzeugnisse auf das konzern-eigene Unternehmen ......... vorgenommen, weil sie mit dieser Art des Vertriebs in Hamburg sehr gute Erfahrung gemacht habe, und weil die .............. in der Lage sei, den Grosso-Vertrieb auch in den Gebieten der Klägerin und der Firma ............ durchzuführen. In Hamburg funktioniere der zweigleisige Vertrieb mit Objekttrennung durch die ............ und den weiteren Grossisten einwandfrei. Beide Grossisten seien gegenüber den an ihnen beteiligten Verlagen gesellschaftsrechtlich zur Neutralität bei ihrer Vertriebstätigkeit verpflichtet. Auch mit den Verlagen, die die beiden Grossisten beauftragten, werde eine Verpflichtung zur Neutralität vereinbart. Eine Einschränkung der Pressefreiheit sei nicht festzustellen. Außerdem entstehe durch die Beauftragung der .......... im Gebiet der Klägerin Wettbewerb auf der Ebene der Grossisten, denn künftig könnten sich andere Verlage auch für einen Vertrieb über die .......... entscheiden. Die Klägerin habe keinen vertraglichen Anspruch auf Belieferung durch die Beklagte. Zwischen den Parteien bestehe kein Vertrag, weil die Abreden über den Vertrieb unter Verstoß gegen § 34 GWB a.F. (teilweise) nicht schriftlich vereinbart und daher insgesamt unwirksam seien. Der einzige wirksame Vertrag, der zwischen den Parteien zuletzt bestanden habe, sei die Handelsspannenvereinbarung. Diese sei jedoch am 28.02.2009 ausgelaufen. Die Klägerin könne auch nicht nach § 20 Abs. 1 GWB Weiterbelieferung verlangen. Die Beklagte sei frei in der Entscheidung, welchen Großhändler sie in welchem Gebiet beauftrage. Das bisherige System mit Gebietsmonopolen sei kartellrechtswidrig. Mit der Kündigung solle lediglich der Vertrieb von einem Grossisten auf einen anderen Grossisten übertragen werden. Für die betroffenen Einzel-händler ändere sich nichts. Die "Gemeinsame Erklärung" sei für die Beklagte rechtlich ohne Bedeutung. Die Beklagte habe sie nicht unterzeichnet. Sie sei auch nicht Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin kann von der Beklagten aufgrund des bestehenden Presse-Grosso-Vertriebsvertrags verlangen, in ihrem Vertriebsgebiet mit sämtlichen Presseerzeug-nissen der Beklagten zur Abgabe an den stationären Einzelhandel zu den Bedingungen beliefert zu werden, die von der Beklagten mit der Mehrheit der Grossisten in Deutschland praktiziert werden und/oder vereinbart sind. Dies sind gegenwärtig die Bedingungen der bis zum 28.02.2009 getroffenen Handelsspannenvereinbarungen mit dem Vorbehalt der Rückforderung (vgl. Sitzungs-protokoll vom 20.04.2009).

1.

Zwischen den Parteien besteht ein Presse-Grosso-Vertriebsvertrag, der sich aus teils schriftlich, teils mündlich vereinbarten und praktizierten Regelungen so wie branchen-üblichen Konditionen zusammensetzt.

a) Während der mehr als 40-jährigen Praktizierung waren Gegenstand des Vertrags die jeweils ausgehandelten Handelsspannen-tabellen. Die zeitliche Befristung der zuletzt geltenden Handels-spannen bis zum 28.02.2009 stellt, anders als die Beklagte meint, keine Befristung des Presse-Grosso-Vertriebsvertrags insgesamt dar. Es handelt sich nur um eine Befristung der Vergütungsvereinbarung verbunden mit der Verpflichtung der Parteien, rechtzeitig vor dem Auslaufen der Vereinbarung im Wege von Verhandlungen die Angemessenheit der Vergütung zu überprüfen und ggf. eine Anpassung vorzunehmen. So wurde es in der Vergangenheit durch Verhandlungen zwischen dem Grossistenverband und den Verlagen und die Übernahme des Verhandlungsergebnisses in die einzelnen Vertragsbeziehungen praktiziert. Bei Scheitern der Verhandlungen hat nach einer interessen-gerechten Auslegung des Vertriebsvertrages eine Bestimmung der Konditionen gemäß § 315 f. BGB zu erfolgen (vgl. Palandt/Grüneberg, 68. Aufl., § 316 Rdnr. 3).

b) Die Beklagte macht geltend, die Klägerin könne sich auf den Vertriebs-vertrag nicht berufen, weil er wegen Verstoßes gegen das Schriftformgebot für Kartellverträge nach § 34 GWB a.F. nichtig sei. Diese Auffassung teilt die Kammer nicht.

Das Schriftformerfordernis des § 34 GWB a.F. ist mit dem Inkrafttreten der 6. GWB-Novelle am 01.01.1999 ersatzlos entfallen. Zwar ist es richtig, dass bei Verträgen, die noch unter der Geltung des alten Rechts geschlossen wurden, die Rechtsänderung nicht zur nachträglichen Wirksamkeit führt. Jedoch kann das nichtige Rechtsgeschäft nach § 141 BGB bestätigt werden (BGH, Urteil vom 02.02.1999 – KZR 51/97 – Coverdisk). So ist es hier, weil der Vertriebsvertrag nach Wegfall des Schriftformerfordernisses ab Januar 1999 durch die Parteien täglich praktiziert und dadurch konkludent als gültig anerkannt worden ist. Ein entsprechender Wille kam insbesondere durch die Vereinbarungen der neuen Handelsspannen zum Ausdruck. Soweit ein Bestätigungs-wille im Sinne des § 141 BGB regelmäßig voraussetzt, dass die Parteien die Nichtigkeit kannten oder zumindest Zweifel an der Wirksamkeit des Vertrags hatten, ist davon auszugehen, dass jedenfalls die Beklagte personell so ausgestattet ist, dass ihr die Problematik der Formunwirksamkeit der Vertriebsverträge bekannt war, und dass auch bei der Klägerin bei pflichtgemäßer Sorgfalt eine entsprechende Kenntnis hätte vorliegen können (vgl. Palandt/Ellenberger, 68. Aufl., § 141 Rdnr. 6). Darüber hinaus stößt das Verhalten der Beklagten, sich 10 Jahre nach Wegfall der Formvorschrift gegenüber einem ihrer Großhändler auf die Formnichtigkeit zu berufen, um sich von den Bindungen des Vertrages zu lösen, gegen Treu und Glauben (zur Anwendung des § 242 BGB: Bornkamm in: Langen/Bunte, GWB, 10. Aufl., Anhang zu § 34 a Rdnr. 12).

2. Der Presse-Grosso-Vertriebsvertrag der Parteien ist nicht wirksam gekündigt. Die Kündigung wäre zwar vertragsrechtlich mit einer Umstellungsfrist bis Ende April 2009 möglich gewesen (a). Sie ist aber unwirksam, weil sie gegen § 20 Abs. 1 GWB verstößt (b).

a) Vertragsrechtlich war der Vertrag befristet zum Ende des Monats April 2009 kündbar.

aa) Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Klägerin, dass sich aus der Gemeinsamen Erklärung vom 19.08.2004 für die Beklagte eine vertragsrechtliche Beschränkung der Möglichkeit zur Beendigung der Presse-Grosso-Vertriebsverträge – Kündigung nur bei nachhaltigen Leistungsmängeln - ergebe.

Die Gemeinsame Erklärung ist nicht Inhalt des zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Vertriebsvertrags. Weder die Klägerin noch die Beklagte sind Partei der Gemeinsamen Erklärung. Die Beklagte ist nicht einmal Mitglied eines der beteiligten Verbände. Dass die ............ Group Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriften-verleger ist, der die Gemeinsame Erklärung mit unterzeichnet hat, reicht für eine vertragliche Bindung der rechtlich selbständigen Beklagten nicht aus. Darüber hinaus sind die Verbände in der Gemeinsamen Erklärung mit ihrem "Bekenntnis" zum bisherigen Grosso-Vertriebs-Vertrag keine einklagbaren Verpflichtungen eingegangen. Es handelt sich um eine von der Bundesregierung angeregte Selbstverpflichtung der Verbände, durch die eine gesetzliche Regelung des Grosso-Systems entbehrlich werden sollte.

bb) Eine vertragliche Regelung der Kündigungsmöglichkeit ergibt sich auch nicht aus den zwischen der Klägerin und dem .............. Verlag im Jahr 1965 vereinbarten "Allgemeinen Lieferungs- und Zahlungsbedingungen für den Zeitschriftengroßhandel", wo es unter Ziffer 12. heißt, dass die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen bis auf Widerruf gelten. Es ist schon zweifelhaft, ob diese Klausel zum damaligen Zeitpunkt dahin verstanden werden konnte, dass der gesamte Vertrag – und nicht nur die Geschäftsbedingungen – jederzeit ohne weiteres "widerrufbar" sein sollte. Jedenfalls ist das Vertragsverhältnis nach 40-jähriger Durchführung nicht so zu verstehen. Verträge sind gem. §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordert. Die Klägerin hat sich wirtschaftlich auf die ausschließliche Belieferung mit den Presseprodukten der Beklagten eingerichtet. Während der vergangenen Jahrzehnte sind, soweit ersichtlich, mit sofortiger Wirkung erklärte freie Kündigungen von Großhändlern im Deutschen Presse-Grosso-System nicht erfolgt, jedenfalls nicht umgesetzt worden. Es wäre daher nicht sachgerecht, den Vertriebsvertrag dahin auszulegen, dass die Beklagte ihn jederzeit ohne eine Umstellungsfrist beenden kann.

cc) Mangels einer vertraglichen Regelung richtet sich die Kündigungsfrist nach § 89 HGB entsprechend.

Die Tätigkeit eines Grossisten kommt der eines Kommissionsagenten nahe, weil der Grossist ständig mit Geschäften beauftragt ist, die er im eigenen Namen, wegen des Remissionsrechts aber im wesentlichen auf Risiko des jeweiligen Verlages durchführt (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.04.1980 – 6 U 226/78 (Kart); Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl., Kapitel 46 Rdnr. 2; Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl., § 383 Rdnr. 3). Für Kommissionsagenten gilt bei einer größeren Abhängigkeit, wie sie hier wegen des im Grosso-System vereinbarten Gebietsschutzes und des relativ hohen Anteils der Presseerzeugnisse der Beklagten am Umsatz der Klägerin (etwa 15 %) anzunehmen ist, Handelsvertreterrecht. Nach § 89 Abs. 1 Satz 2 HGB kann in Fällen, in denen das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen worden ist, nur mit einer Frist von 6 Monaten gekündigt werden, wobei die Kündigung im Zweifel nur für den Schluss eines Kalendermonats zulässig ist.

dd) Die mit Schreiben der Beklagten vom 20.10.2008 erklärte Kündigung zum 28.02.2009 wäre somit vertragsrechtlich erst mit Ablauf des Monats April 2009 wirksam gewesen. Das Schreiben der Beklagten vom 30.05.2008 stellt keine Kündigung der Vertriebsvereinbarung dar. Es enthält nur den Hinweis, dass die gültige Handelsspannenvereinbarung zum 28.02.2009 auslaufe und sich nicht automatisch verlängere, sowie "vorsorglich und zur Klarstellung" die Erklärung, dass die bestehenden Regelungen, also die Handelsspannenvereinbarung vom 28.02.2009, gekündigt werden. Gegen die Annahme, dass die Beklagte damit den Vertriebsvertrag kündigen wollte, spricht, dass das Schreiben an alle Grossisten in Deutschland ging. An einer Beendigung aller Vertriebsverträge hat die Beklagte offenkundig – jedenfalls zur Zeit – kein Interesse.

b) Die generelle Unwirksamkeit der Kündigung folgt aus § 20 Abs. 1 GWB.

aa) Die Beklagte ist im Hinblick auf die Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften Normadressat des § 20 Abs. 1 GWB. Sie ist zwar nicht selbst ein Unternehmen, das die Preise nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GWB bindet, da sie nur den Vertrieb für den ..........Verlag durchführt. Die Beklagte ist aber wie ein preisbindendes Unternehmen zu behandeln. Denn der Verlag kann sich nicht durch Ausgliederung des Vertriebs auf eine Konzerngesellschaft den Verboten des § 20 GWB entziehen (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.1998 – KZR 30/96 – Bahnhofsbuchhandel; Markert in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 20 Rdnr. 35).

bb) Die Klägerin ist gegenüber den anderen, von der Beklagten weiter belieferten Grossisten im Hinblick auf die von ihr identisch ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit als gleichartiges Unternehmen anzusehen. Bei der Tätigkeit eines Pressegrossisten handelt es sich auch um einen Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. Zwar ist es faktisch bislang für andere Unternehmen kaum möglich, Zugang zum Presse-Grosso-Vertriebssystem zu erhalten. Es reicht aber aus, dass es in Deutschland eine erhebliche Zahl von Grossisten gibt und dass die Möglichkeit besteht, dass diese Grossisten oder auch neu hinzutretende Unternehmen den Pressevertrieb in anderen Gebieten (mit)übernehmen, wie dies jetzt beim Vertrieb der Produkte des .........-Verlags im Raum Kiel möglicherweise geschieht (vgl. Markert, a.a.O., § 20 Rdnr. 111). Dabei ist zu berück-sichtigen, dass das Tatbestandsmerkmal des "üblicherweise zugänglichen Geschäfts-verkehrs" weit auszulegen ist. Eine Überprüfung auf Behinderungen oder Diskriminierungen muss auch in einem geschlossenen Vertriebssystem, in dem in bestimmten Gebiete einzelne Händler ausschließlich zuständig sind, möglich sein (vgl. Bechtold, GWB, 5. Aufl., § 20 Rdnr. 38).

cc) Die Kündigung der Vertragsbeziehung mit der Klägerin stellt mit Blick auf die weitere Belieferung der Großteils der Grossisten durch die Beklagte eine Ungleichbehandlung dar. Die Kündigung stellt auch eine Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber der ...... dar, welche die Beklagte seit dem 01.03.2009 mit dem Grosso-Vertrieb ihrer Produkte im Gebiet der Klägerin beauftragt hat. Gleichzeitig wird die Klägerin, die durch die Kündigung einen erheblichen Teil ihres Umsatzes verloren hat, in der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit behindert.

dd) Für diese Ungleichbehandlung bedarf es eines sachlich gerechtfertigten Grundes, der nach einer Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbs-beschränkungen zu beurteilen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH, Urteil vom 24.06.2003 – KZR 32/01 – Schülertransporte). Diese Interessenabwägung geht zu Lasten der Beklagten aus.

Zwar ist auch ein preisbindendes oder marktstarkes Unternehmen wie die Beklagte durch § 20 GWB nicht grundsätzlich gehindert, sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie es dies für wirtschaftlich richtig und sinnvoll hält (vgl. BGH, Urteil vom 24.09.2002 – KZR 38/99 – Vorleistungspflicht; Urteil vom 10.11.1998 – KZR 6/97 – Bahnhofsbuchhandel II; Urteil vom 10.10.1978 – KZR 10/77 – Zeitschriften-Grossisten). Das preisbindende/marktstarke Unternehmen darf auch langjährige Lieferbeziehungen beenden, sofern es den bisher belieferten Händlern eine angemessene Umstellungsfrist einräumt (BGH, Urteil vom 10.02.1987 – KZR 6/86 – Freundschaftswerbung). Das gilt auch im Hinblick auf das in den letzten Jahrzehnten in Deutschland praktizierte Presse-Grosso-Vertriebssystem; das Presse-Grosso-Vertriebssystem ist weder verfassungs-rechtlich noch kartellrechtlich als "Institution" vorgegeben. Entschließt sich der Verlag jedoch, den Grosso-Vertrieb nicht ausschließlich selbst durchzuführen, sondern teilweise ein konzernzugehöriges Unternehmen und teilweise dritte Unternehmen zu beauftragen, trifft ihn die grundsätzliche Pflicht zur Gleichbehandlung der Unternehmen. Eine Benachteiligung einzelner Grosso-Unternehmen ist dann nur bei Vorliegen besonderer rechtfertigender Umstände möglich (BGH, Urteil vom 24.06.2003 – KZR 32/01 – Schülertransporte; Urteil vom 24.09.2002 – KZR 38/99 – Vorleistungspflicht; Urteil vom 10.11.1998 – KZR 6/97 – Bahnhofsbuchhandel II; Markert in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 20 Rdnr. 153).

Solche rechtfertigenden Gründe für die Ungleichbehandlung hat die Beklagte nicht ausreichend dargetan. Schriftsätzlich hat die Beklagte zu den Gründen der Kündigung im Wesentlichen nur vorgetragen, sie beabsichtige, den Vertrieb der Presseerzeugnisse der .................. Group in den bisherigen Gebieten der Klägerin und der Firma ............... über das konzerneigene Unternehmen ........ abzuwickeln, weil sie mit dieser Art des Vertriebs in Hamburg sehr gute Erfahrung gemacht habe, und weil die Firma ....... in der Lage sei, auch in den beiden angrenzenden Gebieten den Grosso-Vertrieb durchzuführen; in Hamburg funktioniere der zweigleisige Vertrieb mit faktischer Objekttrennung durch die .......... den weiteren Grossisten einwandfrei. Damit zeigt die Beklagte einen Vorteil des Vertriebs durch die ........... gegenüber dem Vertrieb durch die Klägerin, also einen Gesichtspunkt für ein sachlich gerechtfertiges Interesse an der Kündigung der Klägerin, nicht auf. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter ergänzt, dass die Durchführung des Vertriebs durch die ........ auch besser und billiger sei. Für ein "besser" ist dem Beklagten-vortrag nichts Konkretes zu entnehmen. Zum "billiger" hat der Beklagtenvertreter ausgeführt, dass die von der Beklagten mit der ........... vereinbarten Tarife noch unterhalb der von den Verbänden und den Verlagen neu ausgehandelten, bereits herabgesetzten Handelsspannen lägen. Dass dies so ist, kann als wahr unterstellt werden. Ein sachlicher Grund für die Kündigung lässt sich daraus deshalb nicht herleiten, weil die Beklagte es unterlassen hat, die Auswahl unter den Anbietern nach fairen und objektiven Auswahlkriterien zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 24.06.2003 – KZR 23/01 - Schülertransporte; Bechtold, GWB, 5. Aufl., § 20 Rdnr. 43). Die Beklagte hat den Vertriebsvertrag mit der Klägerin beendet, ohne sich um eine Fortsetzung des Vertrags zu aus ihrer Sicht günstigeren Bedingungen zu bemühen bzw. die Klägerin bei der Neuvergabe des Auftrags in ihre Überlegungen einzubeziehen. Statt dessen hat sie sich auf den unzutreffenden Stand-punkt gestellt, dass sie frei in der Entscheidung sei, welches Großhändlers sie sich zum Vertrieb ihrer Produkte bedient (Schriftsatz vom 7. April 2009, Seite 10). Unter diesen Umständen überwiegt das auf der Hand liegende Interesse der Klägerin an der Fort-setzung des bisherigen Vertriebsvertrags.

Ob bei der Interessenabwägung darüber hinaus berücksichtigt werden kann, dass die Beklagte mit ihrem Vorgehen gegen die gemeinsame Erklärung aus dem Jahr 2004 verstößt ("Eine Ausweitung der Grossobetriebe mit Verlagsbeteiligung ist nicht geplant. ... Es besteht auch Einigkeit, dass Verlage die Möglichkeit haben müssen, bei zu begründenden nachhaltigen Leistungsmängeln und anderen sachlich gerechtfertigten Gründen die Geschäftsbeziehung zu den jeweiligen Grossisten mit Fristsetzung kündigen zu können"), braucht nicht entschieden zu werden. Offen bleiben kann auch, ob und in welchem Maß bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen kann, dass die bisherige Struktur des Presse-Grosso-Vertriebssystems mit in der großen Mehrzahl ganz oder weitgehend verlagsneutralen Großhandelsbetrieben am besten geeignet sein dürfte, einer unerwünschten Einflussnahme starker Verlage auf die Einzelhändler hinsichtlich der Bewerbung und Präsentation ihrer Presseer-zeugnisse und hinsichtlich des Umgangs mit Konkurrenzerzeugnissen entgegenzu-wirken.

cc) Die Kündigung ist somit gem. § 134 BGB i.V.m. § 20 Abs. 1 GWB unwirksam (vgl. BGH a.a.O.; Bechtold, GWB, 5. Aufl., § 20 Rdnr. 61).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 712 Abs. 1 ZPO. Es ist davon auszugehen, dass die Vollstreckung der Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Die Beklagte ist für den Aufbau eines Doppel-Grosso-Systems mit der konzerneigenen ........ auf die Akzeptanz durch die Einzelhändler angewiesen. Bei vorläufiger Vollstreckung aus dem Urteil und erfolgreichem Rechtsmittel könnte ein ständiger Wechsel des Grosso-Vertriebs deshalb zu irreparablen Schäden führen.

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