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Zur Haftung des Insolvenzverwalters beim Verkauf eines Betriebes

20 O 110/09

Urteil

In dem Rechtsstreit

der Frau E. S.

Klägerin

Prozessbevollmächtigte:

gegen

1. Herrn Insolvenzverwalter L. persönlich,

Beklagter zu 1),

2. Herrn Insolvenzverwalter L. in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn Uwe S.,

Beklagter zu 2),

Prozessbevollmächtigte:

hat die 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 23.09.2010 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. B.als Einzelrichter

für R e c h t erkannt:

Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, die Klägerin von einer Forderung der Bundesagentur für Arbeit ( BA ) Agentur für Arbeit Hannover, Stützpunkt Insolvenzgeld – Refinanzierung – Brühlstr. 40, 30169 Hannover in Höhe von 6.008,92 € freizustellen.

Der Beklagten zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin 1.700,00 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin haben die Klägerin 50 % und der Beklagte zu 2) 50 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) werden der Klägerin auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten des

Beklagten zu 2) hat dieser selbst zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Zahlung von Schadensersatz wegen vorvertraglichen Pflichtverletzung.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 13.03.2007 wurde über das Vermögen des Herrn Uwe S. die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet und der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.

Mit privatschriftlichem Vertrag vom 01.05.2007 erwarb die Klägerin von dem Beklagten das Anlagevermögen des Insolvenzschuldners gemäß dem Gutachten der Firma I. zu einem Bruttopreis in Höhe von 16.142,35 €. Der Beklagte handelte dabei in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter.

Am 07.05.2007 wurde über das Vermögen des Herrn Uwe S. das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter eingesetzt.

Mit Schreiben vom 31.05.2007, sowie vom 06.05.2007 wurde die Klägerin als Nachfolgebetrieb des Herrn Uwe S. von der Bundesagentur für Arbeit aufgefordert, das von der Bundesagentur gezahlte Insolvenzgeld in Höhe von insgesamt 7.708,92 € gemäß § 613a BGB zu erstatten.

Mit notariellem Schuldanerkenntnis vom 23.03.2009 unterwarf sich die Klägerin bzgl. der Forderung der Bundesagentur der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen.

Seit dem 04.05.2009 zahlt die Klägerin monatlich 100,- € an die Bundesanstalt für Arbeit.

Die Klägerin hat die Klage zunächst gegen den Beklagten persönlich gerichtet. Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2009 hat sie erklärt, nunmehr den Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Uwe S. in Anspruch nehmen zu wollen. Einer etwaigen Klageänderung haben die Beklagten nicht zugestimmt.

Die Klägerin behauptet, sie habe den Beklagten mehrfach gefragt, ob sie mit dem Erwerb des Anlagevermögens in Arbeits- oder Mietverhältnisse des Insolvenzschuldners eintreten würde. Sie habe keinerlei Altverbindlichkeiten übernehmen wollen. Anderenfalls hätte sie, die Klägerin, den Vertrag zu diesem Zeitpunkt nicht unterschrieben. Der Beklagte habe daraufhin mehrfach erklärt, die Klägerin würde in keine Altverbindlichkeiten eintreten. Ferner habe der Beklagte wiederholt versichert, er habe das Insolvenzgericht gebeten, das Insolvenzverfahren zum 01.07.2007 zu eröffnen womit auch zwingend zu rechnen sei. Auch aus diesem Grund habe die Klägerin mit den Insolvenzschulden nichts zu tun. Der Hinweis im Kaufvertrag, dass es sich um einen Erwerb nach § 613a BGB handele, habe der Beklagte nur als Formalie bezeichnet.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu 2) zu verurteilen, die Klägerin von einer Forderung der Bundesagentur für Arbeit ( BA ) Agentur für Arbeit Hannover, Stützpunkt Insolvenzgeld – Refinanzierung – Brühlstr. 40, 30169 Hannover in Höhe von 6.008,92 € freizustellen.

2. den Beklagten zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin 1.700,00 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er habe deutlich auf die möglichen Folgen durch den Betriebsübergang nach § 613a BGB hingewiesen. Dies ergäbe sich insbesondere aus der Vorbemerkung der Vereinbarung über die Übernahme des Anlagevermögens. Demnach habe die Klägerin das wirtschaftliche Risiko tragen sollen.

Der Beklagte habe auch nicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugesichert. Er habe lediglich ausgeführt, das Insolvenzgericht würde üblicherweise das Verfahren am Monatsanfang eröffnen.

Wegen Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die vorgetragenen Inhalte der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat gemäß der prozessleitenden Verfügung vom 21.06.2010 die Zeugen Uwe S. und Manuela H. uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 22.09.2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet, soweit die Klägerin den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn Uwe S. in Anspruch nimmt.

Sie ist unbegründet, soweit die Klägerin den Beklagten persönlich in Anspruch nimmt.

I.

Soweit die Klägerin zunächst den Beklagten persönlich in Anspruch genommen hat, und später den Beklagten als Insolventverwalter ist der darin liegende Parteiwechsel als sachdienlich gem. § 263 ZPO zuzulassen.

Durch die Zulassung der Klageänderung wird ein neuer weiterer Rechtsstreit vermieden.

II.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 311 II BGB i.V.m. § 31 BGB analog in Höhe von 7.708,92 €.

1.) Indem die Klägerin und der Beklagte in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter über den Erwerb des Anlagevermögens des Insolvenzschuldners verhandelt haben, ist zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis gem. § 311 II Nr. 1 BGB zustande gekommen. Der Beklagte zu 2) als vorläufiger Insolvenzverwalter hat dabei unmittelbar die Insolvenzmasse bzw. den Insolvenzschuldner verpflichtet.

2.) Der Beklagte zu 2) hatte als Insolvenzverwalter aufgrund des Schuldverhältnisses eine Aufklärungspflicht aus § 241 Absatz 2 BGB. Zwar besteht keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können. Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass die Partei, die mit einem Insolvenzverwalter in vertragliche Beziehungen eintritt oder mit ihm Rechtsgeschäfte abschließt, die die Masse betreffen, ihm nicht anders gegenüber steht als dem Schuldner selbst (BGH, Urteil vom 14.04.1987 - IX ZR 260/86 -). Zutreffend ist auch, dass der Konkurs- oder Insolvenzverwalter nicht auf die regelmäßig vorhandenen, im Allgemeinen auch bekannten Gefahren hinweisen muss, die Geschäfte mit der Masse, insbesondere Vorleistungen oder die Abwicklung von Verträgen über einen längeren Zeitraum zwangsläufig für den Vertragspartner mit sich bringen. Eine Aufklärungspflicht besteht aber, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte redlicherweise eine Aufklärung erwarten durfte.

Danach traf den Beklagten zu 2) in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter hier die Pflicht, die Klägerin im Rahmen der Vertragsverhandlungen auch darüber aufzuklären, dass die Bundesagentur für Arbeit möglicherweise die Klägerin gem. § 613a BGB für das an die Arbeitnehmer gezahlte Insolvenzgeld in Regress nehmen könnte. Dieser Umstand war für die Klägerin im Hinblick auf den Abschluss des Vertrages von wesentlicher Bedeutung wie sich aus der Beweisaufnahme ergeben hat. Sowohl der Zeuge S. als auch der Aussage der Zeugin H. lässt sich entnehmen, wie wichtig es der Klägerin war, keine Schulden zu übernehmen. Die Klägerin hat in der Besprechung, an der beide Zeugen teilgenommen haben, ausdrücklich danach gefragt, ob sie Schulden übernehmen müsse.

Hinzu kommt, dass das Verhandlungsgleichgewicht zwischen den Beteiligten aufgrund des Fachwissens des Beklagten zu 2) als Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter erheblich gestört war und im Hinblick auf die kurz bevor stehende Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rückgriff durch die Bundesagentur leicht hätte vermieden werden können.

Dass sich der Beklagte zu 2) der Problematik der Rückforderung des Insolvenzausfallgeldes im Fall der Betriebsübernahme durchaus bewusst war, hat die Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2010 ergeben. Der Beklagte hat erklärt, durchaus davon gewusst zu haben, dass die Möglichkeit bestand, dass die Bundesagentur von ihrem Rückforderungsrecht Gebrauch machen werde, sie dies nach seiner Kenntnis aber noch nie gemacht habe.

Die Pflicht zur Aufklärung entfiel auch nicht etwa deshalb, weil die Bundesagentur für Arbeit in anderen Fällen von ihr gezahlte Insolvenzgelder bis zu dem damaligen Zeitpunkt nicht zurückgeforderte hatte. Dass die Möglichkeit eines Rückgriffs auf die Klägerin gem. § 613a BGB grundsätzlich bestand, war dem Beklagten zu 2) als Insolvenzverwalter und Rechtsanwalt bekannt.

3.) Diese Aufklärungspflicht hat der Beklagte als Insolvenzverwalter verletzt.

Nach der Beweisaufnahme steht insoweit zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte zu 2) seinen Aufklärungspflichten im Rahmen der Verhandlungsgespräche nicht hinreichend nachgekommen ist.

Der Zeuge S. hat ausgesagt, im Verlauf der Verhandlungsgespräche, an denen er teilgenommen habe, sei darüber gesprochen worden, dass keine Verbindlichkeiten übernommen werden sollten. Dabei sei auch über Verbindlichkeiten gegenüber dem Arbeitsamt gesprochen worden. Der Beklagte zu 2) habe der Klägerin gesagt, sie habe mit Verbindlichkeiten nichts zu tun. Über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs, insbesondere die Haftung für Schulden, sei nicht gesprochen worden.

Diese Aussage ist durch die Zeugin H. im wesentlichen bestätigt worden. Die Zeugin hat bekundet, die Klägerin habe den Beklagten zu 2) während der Verhandlungsgespräche gefragt, ob Kosten auftauchen würden, die von dem Zeugen S. stammen würden. Die Klägerin habe dabei nicht differenziert, was sie unter Altschulden verstehen würde. Der Beklagte habe geantwortet, die Klägerin würde keinerlei Altschulden übernehmen. Darauf ob, auch über Rückstände bei der Agentur für Arbeit gesprochen worden sei, wollte sich die Zeugin Hellmann nicht festlegen.

Nach diesen Aussagen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2) der Klägerin die Auskunft erteilt hat, sie würde keine Altverbindlichkeiten übernehmen. Diese Aussage durfte die Klägerin auch dahingehend verstehen, dass damit sämtliche Verbindlichkeiten gemeint waren. Es kann nicht gefordert werden, dass die Klägerin ohne Rechtskenntnisse genau zwischen den einzelnen möglichen Verbindlichkeiten differenziert. Vielmehr wäre dies gerade Aufgabe des Beklagten zu 2) gewesen.

Beide Zeugen haben ihre Erinnerung von den Gesprächen nachvollziehbar und widerspruchsfrei geschildert. Zweifel an der Glaubwürdigkeit ergeben sich dabei nicht. Für die Richtigkeit der Aussagen sprach insbesondere, dass sie sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern konnten, vielmehr nur den Inhalt des Gesprächs sinngemäß wieder geben konnten.

Der Beklagte zu 2) durfte sich zur Erfüllung seiner Aufklärungspflicht auch nicht auf den abstrakten Hinweis auf den Betriebsübergang gem. § 613a BGB in der Vereinbarung über den Verkauf des Anlagevermögens beschränken. Der Klägerin musste als Laie die Bedeutung dieser Vorschrift in ihrem vollen Umfang nicht bekannt sein. Vielmehr hätte es eines entsprechenden erläuternden Zusatzes bedurft. Dass der Beklagte die Klägerin anlässlich der Unterzeichnung des Betriebsübernahmevertrages ausreichend aufgeklärt hat, behauptet er selbst nicht.

4.) Die Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Beklagten zu 2) in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter sind der Insolvenzmasse nach mittlerweile überwiegender Ansicht gem. § 31 BGB analog als eigenes Handeln zuzurechnen ( Palandt-Ellenberger, § 31, 3; Henckel/Jaeger InsO, § 80, 54ff.; Uhlenbruck InsO, § 80, 88; Kübler/Prütting/Bork InsO, § 80, 27; Müko-Ott/Vuia InsO, § 80, 41 ). Voraussetzung der Zurechnung ist dabei, dass zwischen den Aufgaben des Insolvenzverwalters und der schädigenden Handlung ein sachlicher und nicht bloß zufälliger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang besteht ( Palandt-Ellenberger, §31, 10 ). Indem der Beklagte zu 2) gerade die Vertragsverhandlungen mit der Klägerin gerade in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter geführt hat, sind diese Erfordernisse erfüllt.

5.) Der Klägerin ist auch ein kausaler Schaden entstanden. Zugunsten der Klägerin greift dabei der Beweis des ersten Anscheins, dass sie den Vertrag zur Übernahme des Anlagevermögens zu dem damaligen Zeitpunkt nicht geschlossen hätte, wenn sie davon Kenntnis gehabt hätte, von der Bundesagentur in Anspruch genommen zu werden. Die Vermutung setzt voraus, dass aufgrund der Interessenlage des Geschädigten und ggf. weiterer objektiver Umstände eine bestimmte Entschließung mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Das Interesse der Klägerin war, keine Altverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners zu übernehmen wie die Beweisaufnahme ergeben hat. Hinzu kommt, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kurz bevor stand und von den Parteien ohne weiteres hätte abgewartet werden können. Aufgrund dessen hätte die Reaktion der Klägerin, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuwarten, nahe gelegen. Diese Vermutung hat der Beklagte zu 2) nicht ausgeräumt.

6.) Der Beklagte zu 2) hat die Pflichtverletzung auch zu vertreten. Er hat keine Tatsachen vorgetragen, die ihn nach § 280 I 2 BGB entlasten würden.

7.) Als Rechtsfolge ist der Klägerin der geltend gemachte Klageanspruch gem. § 249 BGB zu ersetzen. Dieser besteht in der Inanspruchnahme durch die Bundesagentur in Höhe von 7.708,02 €.

III.

Einen Anspruch gegen den Beklagten persönlich aus den §§ 60, 61 InsO hat die Klägerin nicht, da sie nicht Beteiligte des Insolvenzverfahrens ist.

IV.

Zinsen macht die Klägerin nicht geltend.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 I, 269 III 2 ZPO.

Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 S. 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Dr. Bodmann

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